„I want you to panic“ – mit diesem Zitat von Umweltaktivistin Greta Thunberg reagiert Norbert Grote (Foto), Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, auf den Stillstand bei der Zahl der Pflegekräfte.
In einem Gastkommentar für Care vor9, erläuterte Grote, warum die Stagnation alles andere als eine gute Nachricht für die Pflege ist:
Die Wortwahl macht es. „Zahl der Pflegefachkräfte weitgehend stabil“, sagen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Alles gut, alles wie gehabt, alles kein Grund zur Panik – so kann diese Aussage ohne eine entsprechende Einordnung leicht verstanden werden. Und wer wie ich als Verbandsvertreter im ständigen Dialog mit politischen Entscheidungsträgerinnen und -entscheidungsträgern steht, der weiß, wie wenig das Ausmaß der Bedrohung für die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland bisher wahrgenommen und verstanden wird.
Politik will keine zusätzlichen Baustellen und Politik will vor allem nicht einsehen, dass die eigenen politischen Maßnahmen an falschen Punkten ansetzen, wirkungslos sind oder zum Teil sogar problemverschärfend wirken. Also gibt es gesetzgeberische Feigenblätter und wir als Verbände gehen selbst auch noch viel zu oft in die Beschwichtigungsfalle. Wir diskutieren über die konkrete Umsetzung einer vermeintlichen „Mehrpersonalisierung“, anstatt die Politik auf Lösungen für den schon heute massiven Versorgungsmangel in der Langzeitpflege festzunageln.
Fakt ist: Alle Maßnahmen im personellen Bereich, von den bis heute nicht besetzten „Spahn-Stellen“ bis hin zur Tariftreueregelung, haben in keiner Weise die Arbeitsverdichtung in den Teams der Langzeitpflege gemindert. Ein Krankenstand von fast zehn Prozent ist der traurige Beleg dafür. Ein weiterer deutlicher Hinweis ist der Anstieg der Teilzeittätigkeit in der Pflege aufgrund des deutlich gestiegenen Entlohnungsniveaus.
Der Druck wächst hingegen – bei Pflegekräften, Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen. Schon heute finden zehntausende Pflegebedürftige und ihre Familien in Deutschland keine professionelle Unterstützung zuhause oder keinen Platz in einem Pflegeheim mehr – und täglich werden es mehr, weil die pflegerische Versorgungslandschaft weiter bröckelt und die Zahl der Pflegebedürftigen gleichzeitig massiv anwächst. Korrespondierend steigt der Druck, mit einer extremen Zunahme der Belastungen auf pflegende Angehörige, den Pflegedienst der Nation in Deutschland.
Das gleichlaufende und notwendige Wachstum bei der Zahl der Pflegekräfte ist hingegen zum Erliegen gekommen und die Schere geht immer weiter auseinander. Pflege war der Jobmotor in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten. Nur so konnte dem stetig steigenden Versorgungsbedarf in der Pflege erfolgreich begegnet werden. Wenn die Beschäftigtenzahl in der Pflege also nun konstant bleibt, ist das ein schrillendes Warnsignal. „Zahl der Pflegekräfte steigt nicht mehr“ oder auch „Zahl der Pflegekräfte fällt im Vergleich zu Zahl der Pflegebedürftigen immer weiter zurück“ – das wären passende Kommentierungen für den beschriebenen sehr bedrohlichen Effekt.
Solange wir uns als Interessenverbände gleich welcher Couleur von der Politik immer wieder in Umsetzungsfragen der nicht ausreichenden und teils kontraproduktiven Maßnahmen verwickeln lassen, bleibt das große Ganze ungesehen und undiskutiert.
„I want you to panic“ schleuderte Greta Thunberg seinerzeit den Teilnehmenden des Weltwirtschaftsgipfels entgegen. In der deutschen Politik gibt es angesichts der massiven und fortschreitenden Unterversorgung der Pflegebedürftigen und des Wegbrechens von dringend benötigten Versorgungsangeboten aufgrund zahlloser Betriebsschließungen und Insolvenzen viel zu viel Ruhe und Selbstzufriedenheit. Und viel zu wenig wohltemperierte Panik.